Materialien und Medien der Komödiengeschichte. Zur Praxeologie der Werkzirkulation zwischen Hamburg und Wien von 1678–1806 (Studien und Texten zur Sozialgeschichte der deutschen Literatur 152). Berlin/New York: de Gruyter 2021. [Habilitationsschrift]

Die Geschichte der deutschen Komödie im 17., 18. und frühen 19. Jahrhundert wurde bisher in der Literaturhistoriographie als lineare Abfolge von original deutschsprachigen Sprechtheaterwerken aus dem nord- und mitteldeutschen Raum erzählt. Dabei konzentrierte man sich fast ausschließlich auf diejenigen Werke, die sich den poetologischen Positionen der Frühaufklärung, der Aufklärung, des Sturm und Drang und der Klassik zuordnen ließen. Forschungen der letzten Jahrzehnte haben jedoch eine immense Fülle an bisher nicht berücksichtigten Dramen in zahlreichen Fassungen zu Tage gefördert, die sich nicht in dieses Narrativ einordenen lassen. Die vorliegende Studie entwirft deshalb ein Modell zirkulierender Werke, mit dem die Geschichte der Komödie dieses Zeitraumes unter Berücksichtigung  vorhandener Materialien, historischer Kommunikationsprozesse und medialer Konstellationen in synchroner und diachroner Perspektive rekonstruiert werden kann. Dadurch sollen der Pädominanz von Musiktheater, von Bearbeitungen und Übersetzungen Rechnung getragen, die integrative Darstellung bisher kanonisierter und nicht-kanonisierter Werke ermöglicht und Verbindungen zwischen dem nord- und süddeutschen Raum aufgezeigt werden. Die Grundlage dieses Modells bilden Werke, die in verschiedene Fassungen, Formaten und Exemplaren vorliegen. Ihre Positionierung wird im Kontext von Theaterspielplänen, Bearbeitungs-, Publikations- und Diskurskontexten und im Wechselspiel verschiedener Gattungen des Sprech- und Musiktheaters, von Handschrift, Druck, Aufführung, Musik und Grafik rekonstruiert. Theoretische Grundlage ist dabei Bourdieus Kultursoziologie, die bezüglich der textbezogenen Schreib- und Autorenstrategien für die Analyse von Texten spezifiziert wird. 

In vier Werk-Fassungs-Reihen werden einfluss- und erfolgreiche Komödien des Musik- und Sprechtheaters aus dem 17., 18. und frühen 19. Jahrhundert untersucht, die sowohl in Hamburg als auch in Wien in voneinander abweichenden Fassungen auch auf Deutsch aufgeführt und publiziert werden. Im Zentrum des Vergleichs stehen die Themen und Formen der Komik im Text, die Komik wird jedoch auch punktuell in der Musik und in der Aufführungspraxis analysiert. Auf diese Weise können die gängige These von der Entkomisierung der Komödie seit dem 18. Jahrhundert hinterfragt und neue Verbindungen zwischen dem Norden und dem Süden des deutschsprachigen Gebietes aufgezeigt werden. Im Zuge der vergleichenden Analyse der Werkfassungen in Hamburg und Wien werden auch bekannte Komödien wie Lessings Minna von Barnhelm oder Beaumarchais/da Pontes/Mozarts Die Hochzeit des Figaro neu interpretiert.

Abb.: [Leopold I] Creso. [Partitur] [ÖNB Mus.Hs.16287/1-3].

Abb.: Die Schwestern von Prag: komisches Singspiel in 2 Aufzügen; Soufflierbuch / nach Hafner von Perinet. Die Musik ist vom Herrn Kapellmeister Wenzel Müller. [Hamburg], [um 1799]. [Hs] [SUB TB 1489b].

Abb.: Minna von Barnhelm oder das Soldatenglück. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen von Gotthold Ephraim Lessing. Aufgeführet auf der Kais. Königl. Privilegierten deutschen Schaubühne in Wien im Jahre 1767. Gedruckt mit v. Ghelischen Schriften. [ÖNB Alt Mag 3.409-A], II,8

Abb.: Bilderbogen zu Figaro’s Hochzeit (Kuperfstiche)
Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky,
Signatur: Theatersammlung. Bilder: G 52